1. Sven
Der Blick aus dem Fenster bestätigte das, was Sven schon durch das Prasseln aufs Dach befürchtet hatte. Es regnete und das nicht zu knapp. Was bitte konnte man bei so einem Wetter mit der freien Zeit anfangen? Es waren doch schließlich Ferien! Seufzend stützte er das Kinn auf die Hände und schaute missmutig in den Hof und zur Straße hinunter.
Sein Blick fiel auf den alten Mann, der fröhlich in Richtung des kleinen Parkplatzes hopste. Das war doch jetzt nicht sein Ernst. Er würde doch nicht etwa… Gebannt beobachtete Sven, wie der alte Kerl in sein Cabrio einstieg und allen Ernstes das Verdeck öffnete. Der Typ konnte doch wirklich nicht mehr ganz dicht sein. Andere Menschen fuhren Cabrio, sobald die Sonne schien und Opa Jupp aus dem Erdgeschoss fuhr, sobald es regnete. Die Sonne wurde dann genutzt, um den Innenraum wieder zu trocknen. Ob das so wirklich viel brachte, wagte Sven zu bezweifeln. Das Auto sah jedenfalls ähnlich schäbig aus wie sein Besitzer.
Opa Jupp war schon über 90 Jahre alt, aber dafür körperlich noch recht fit. Er sah ein bisschen aus wie der ungepflegte ältere Bruder des Weihnachtsmanns. Seine langen weißen Haare waren zottelig und ungepflegt. Der Bart hatte eine beachtliche Länge und würde im nächsten Frühjahr vermutlich einen wunderbaren Nistplatz für Vögel abgeben. Was erwartete man auch bei jemandem, der im Regen Cabrio fuhr? Aber nett war Opa Jupp schon. Sven war mit seinen Eltern hergezogen, als er noch ganz klein war. Seine Mutter war schwanger gewesen mit den Zwillingen Annelotte und Liselotte. Da war die alte Wohnung einfach zu klein gewesen und sie waren in das Mehrparteienhaus in der Steinstraße gezogen. Opa Jupp hatte ihm als kleinem Bub schon immer einen Lolli geschenkt. Er schien einen endlosen Vorrat an Lollis zu besitzen. Am Anfang hatte Opa Jupp ihm ein bisschen Angst gemacht. Abgesehen von der optischen Erscheinung hatte Sven ihn einfach nicht verstanden. Als Sven etwas älter wurde, merkte er, dass dies an dem lockeren Gebiss des alten Mannes lag. Er hatte sich dann durchaus gerne mit ihm unterhalten. Zum einen konnte Opa Jupp tolle Geschichten erzählen – die meisten hatten mit dem Cabrio und der Polizei zu tun – und zum anderen war das Klappern im Mund einfach zu komisch.
Inzwischen war Sven 14 Jahre alt und die Zwillinge 10 Jahre. Dennoch bekam er weiterhin von Opa Jupp einen Lolli, wann immer sie sich trafen. Sven war der Meinung, dass man für Lollis nie zu alt war.
Nachdem Opa Jupp mit dem Cabrio um die Ecke verschwunden war, überlegte sich Sven, was er heute machen wollte. Aufstehen und Anziehen wäre ein guter Plan. Immerhin war es schon nach Elf. Er suchte sich im Kleiderschrank seine Klamotten und zog sich an. Die meisten Sachen, die er hatte, waren grün. Seine Mutter fand, dass die ganz toll zu seinen roten Haaren passten. Wenn Sven sich allerdings im Spiegel betrachtete, war er da nicht so sicher. Er stylte sich die lockigen Haare, damit er zumindest etwas cool aussah. Trotzdem war er zu dünn und schlaksig, um bei den Mädchen gut anzukommen. Lediglich seine Sommersprossen fanden sie süß und erwähnten das immer wieder. Echt jetzt? Welcher Junge wollte von den Mädchen in seiner Klasse süß gefunden werden?
Mädchen waren süß! Besonders Rosalinde aus seiner Klasse. Hach, war die niedlich! Und wohnte nur drei Häuser weiter in der zweiten Etage. Bei der hätte Sven gerne‘ eine Chance gehabt, aber irgendwie schien sie nicht zu merken, was Sache war. Vielleicht war das auch besser so.
Sven hatte sich vorgenommen, etwas für seinen Körper zu tun. In zwei Wochen war sein Geburtstag und ab dann durften seine Eltern ihn im Sportstudio anmelden. Da würde er sich ein paar Muckis zulegen. Sein Ziel war es, so gut auszusehen wie Herr Mathias, der Hausmeister aus dem Nebenhaus, der mit Vornamen Harry hieß. Oder hieß er Mathias und Harry mit Nachnamen? Keine Ahnung, war aber auch egal. Der sah mal echt spitze aus! Wenn der draußen mit der Heckenschere zu Gange war, natürlich mit nacktem Oberkörper, dann sah man alle Frauen der Siedlung wie zufällig hin und herlaufen, um einen Blick auf ihn zu erhaschen.
Ein weiterer Blick auf sein eigenes Spiegelbild und er seufzte wieder. Vor ihm lag eine Menge Arbeit, aber er würde es schaffen!